JocJonJosch (Jocelyn Marchington, Jonathan Brantschen, Joschi Herczeg) (dès 2008)
Dig Shovel Dig, Ardez


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Josiane Imhasly, 2020 :

JocJonJosch, Dig Shovel Dig, Ardez, 2013, HD-Video, 15’ 25’’, Kunstmuseum Wallis, Sitten, BA 3392, Schenkung 2015 Das Kollektiv JocJonJosch, bestehend aus Jocelyn Marchington (*1976 London), Jonathan Brantschen (*1981 Fiesch) und Joschi Herczeg (*1975 Basel), schafft seit 2008 ein Werk, dessen Epizentrum die Performancekunst bildet, das sich jedoch auch in Fotografien, Videos und Zeichnungen manifestiert und bildhauerische Dimensionen aufweist. Das Video Dig Showel Dig, Ardez aus dem Jahr 2013 vereint einige der zentralen Arbeitsfelder des Kollektivs exemplarisch. Mit Hacken und Schaufeln, im Kreis stehend, graben die drei Künstler in einer idyllischen Berglandschaft im Unterengadin drei Gruben in eine Wiese. Die vom Einen ausgebuddelte Erde wird dem Anderen ins Loch gekippt und lässt einen Kreislauf des Grabens und Aufschüttens entstehen. Nicht selten dient eine Grube dem Zweck, etwas verschwinden zu lassen oder jemanden zu beerdigen, doch diese Vermutung läuft hier offensichtlich ins Leere. Gleichwohl schaufelten JocJonJosch für die Kunst schon ihre eigenen Gräber und performten für Cemetery (2010) auf einem Friedhof. Vergänglichkeit und Spiritualität sind Themen, die in JocJonJoschs Arbeiten stets mitschwingen und sich beispielsweise in vielgestaltigen schwarzen Löchern manifestieren, wie dem Aushub in Dig Shovel Dig oder den schwarzen Ovalen in der fotografisch-performativen Serie Black Holes (2009). In dieser werden die schwarzen Löcher durch eine perspektivische Täuschung zu Ein- und Ausgängen in eine andere Welt. Sie stehen für das Metaphysische und Kosmische und bilden als eine paradoxe Region, in der es keine Widersprüche gibt, einen Orientierungspunkt für die Gedanken und Arbeiten des Kollektivs (1). Die Performances Dig Shovel Dig in Ardez und ein Jahr später in der Bretagne (Aldeburgh Cliffs, 2014) wurden zwar gefilmt, fanden aber ohne Publikum statt. Bei Existere (2011) oder Ouroboros (2013–2014) hielt das Kollektiv es genau umgekehrt: Hier war Publikum anwesend, die Ereignisse wurden jedoch nicht materiell oder visuell, sondern durch Erinnerung und Erzählung überliefert. JocJonJosch setzen Dokumentation und Zeugenschaft gezielt ein, um mit der Kreation und Dekonstruktion von Mythen und der Konstitution von Erinnerung zu spielen. Mit ihrer konzeptuellen und undogmatischen Herangehensweise an das Verhältnis zwischen Performance und Dokumentation leisten JocJonJosch einen wertvollen Beitrag zur Diskussion darüber. Während die Performancetheorie das Live-Ereignis dreissig Jahre lang über jedwede dokumentierte Form des Performativen stellte, rückt seit den 1990er-Jahren zunehmend das performative Potenzial der Dokumentation in den Fokus. Einerseits ist bei Dig Shovel Dig die Dokumentation selbst das Ereignis (2). Dies ist keineswegs etwas Neues, denn bereits in den 1960er-Jahren sahen dies Künstler*innen wie Carolee Schneemann oder Bruce Nauman in ihren Werken vor. Die heutige Relevanz ihrer Arbeiten verdeutlicht, dass den Dokumenten Performativität innewohnen muss. Andererseits kann die Performance selbst als Dokument verstanden werden, da sie kulturelle Formen tradiert (3). Diesen Aspekt betonen JocJonJosch beispielsweise in Ouroboros. Zu guter Letzt erweitern JocJonJosch ihre kollektive Arbeitsweise um die Texte von Kunstkritiker*innen und Dichter*innen, die als Dokumente in ihr Werk integriert werden, wie etwa ein eigens für die Monografie Almost One. Say Again! (2019) verfasstes Gedicht von Rachel Allen. Zum Dig Project gehören neben Videos auch bearbeitete Fotografien. Manche wurden mit Fingernägeln zerkratzt, andere mit Farbe übermalt. Bei einigen wird der Kreis betont, wodurch formal herausgearbeitet wird, was in Dig Shovel Dig und vielen weiteren Werken des Kollektivs so zentral ist: Das Zirkuläre, das auch den Werktitel Dig Shovel Dig prägt und sich im immer wieder präsenten fünfzehnten Buchstaben des Alphabets «o» zeigt. So trug eine Ausstellung im Le Manoir in Martigny 2017 treffenderweise den Titel o o o . Die Leerschläge vor, zwischen und nach den drei o’s markieren dabei die fehlenden Buchstaben im Namen des Kollektivs und stehen als Leerstellen dafür, was sich zwischen den Künstlern abspielen, entfalten und zutragen kann: Denn in diesem Dazwischen manifestiert sich das Zentrale ihrer Arbeit. Das repetitive, rhythmische und zirkuläre Graben der drei Männer wird nach knapp fünfzehn Minuten abgebrochen. Zu Beginn wirkt die Szene albern und belustigend, dann kippt sie ins Absurde. In ihrem scheinbar nutz- und ziellosen Kreisen erinnert sie an die Arbeit Worstward Ho aus dem Jahr 2013: In einer runde Barke mit drei Rudern vollführte das Kollektiv eine performative Fahrt in der Londoner Themse (4). Der Titel dieses Werks ist einem Prosastück von Samuel Beckett entliehen, woraus folgendes Zitat grosse Bekanntheit erlangte: «Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.». Becketts ambivalente poetische Auseinandersetzung mit Erfolg und Misserfolg sind für die Arbeiten von JocJonJosch sprechend. Das Zitat wurde jedoch in den letzten Jahren von Entrepreneurship Experten, Tech Unternehmen und Life-Hacking Beratern ausgehöhlt. Selbstverbesserung dürfte den als morbid rezipierten Beckett in seinen tragischen Stücken nämlich kaum interessiert haben, viel mehr spielen die Vergänglichkeit und das Absurde in seinen Stücken eine zentrale Rolle (5). Mit derart gelagerten, existentialistischen Fragen beschäftigen sich auch JocJonJosch. Möglicherweise versuchen die drei Künstler mit ihrer Verweigerung von «erfolgreicher» Kooperation in dieser idyllischen Berglandschaft auch die Bedeutung des Rütlischwurs zu untergraben, der in der Ikonografie theatralisch inszeniert wurde und bis heute als Gründungsmythos im kollektiven Gedächtnis der Schweizer*innen präsent ist. Hierzulande gefällt man sich als Hort der direkten Demokratie, welche von fruchtbarer Kooperation genährt wird, doch in Wirklichkeit dreht man sich auch hier nicht selten nur im Kreis. Die in Dig Shovel Dig angelegte Szene ist in ihrer Absurdität ernsthaft und es klingt gar ein schmerzhaftes Moment an, welches in anderen Arbeiten des Kollektivs ungleich stärker zum Tragen kommt (der Wegbegleiter und in diesem Fall Co-Performer Rye Dag Holmboe erlebte seine Teilnahme an Ouroboros wie eine «kleine Hölle») (6). Die Leerstellen zwischen den o’s – zwischen Joc, Jon und Josch – sind von ebenso konstruktiven wie destruktiven Potenzialen geprägt, welche die Gruppenmitglieder füreinander bergen (7). Und hier werden in einer auf den ersten Blick simplen Geste die Möglichkeiten und Bedingungen von Zusammenarbeit ausgelotet. Das Primat der Produktivität wird ad absurdum geführt, womit die Arbeit zu einer kapitalismuskritischen wird und auf das gesamte Werk der Künstler verweist: Wie Rye Dag Holmboe nämlich treffend zusammenfasst, lotet das Kollektiv die Beziehungen zwischen Arbeit und Spiel, Körper und Sprache sowie Bild und Ware in Zeiten des Spätkapitalismus aus (8). 1) Rye Dag Holmboe, In Kreisen denken, in JocJonJosch: Hand in Foot: Prix culturel Manor Valais 2013, Musée d'art du Valais, Sion, 2013. 2) Philip Auslander, Liveness: Performance in a mediatized culture, Routledge London and New York, 1999, S. 131-133. 3) Rebecca Schneider, Performance Remains, in Performance Research, 6 (2), 2001, S. 103. 4) Das Ruderboot von Worstward Ho befindet sich seit 2013 als Skulptur in der Sammlung des Kunstmuseum Wallis. 5) Einige von Samuel Becketts Stücken werden dem «Theater des Absurden» zugerechnet (Martin Esslin, The Theatre of the Absurd, 1960). Die Absurdität und Sinnlosigkeit des Lebens stehen dabei im Zentrum. Die Stücke des «Theater des Absurden» sind meist zirkulär aufgebaut, worin eine Parallele zu JocJonJoschs Werken liegt. Siehe https://en.wikipedia.org/wiki/Theatre_of_the_Absurd (17.10.2020). 6) Rye Dag Holmboe, Ouroboros, in JocJonJosch: Almost One. Say Again!, Slimvolume, London und Le Manoir de la Ville de Martigny, 2019. 7) Anne Jean-Richard Largey, o o o : JocJonJosch in Martigny, Valais, in JocJonJosch: Almost One. Say Again!, Slimvolume, London und Le Manoir de la Ville de Martigny, 2019. 8) Rye Dag Holmboe, Introduction, in JocJonJosch: Almost One. Say Again!, Slimvolume, London und Le Manoir de la Ville de Martigny, 2019.